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Taschenbuch:   ISBN: 9783752939361
eBook(ePub):   ISBN:
9783752939484 
Seiten: 492 

 

Inhaltsangabe:

Der Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke, Spitzname Lüppi, wird mit seinem Kollegen, Gerhard Schwarz, zu einem toten Handwerker in einem Essener Waldgebiet gerufen. Die Identität des Toten ist zunächst unklar, kann aber schnell geklärt werden. Die beiden Kommissare fangen an, sich das Umfeld des Handwerkers anzusehen. Dabei stellen sie fest, es gibt zunächst zwei mögliche Gründe, die zu dem Tod des Mannes geführt haben könnten. Bei den weiteren Ermittlungen stößt Kommissar Lüppi auf weitere Ungereimtheiten.

 

Leseprobe:

16. April 1995, Ostersonntag, 10.00 Uhr
Essen Frohnhausen

Er war am Vorabend mal wieder zu spät ins Bett gekommen, was an dem Besuch in der Eckkneipe lag. Die Besuche in ‚Uschis Eck‘ wurden am Freitag und Samstag immer länger, wenn er nicht in einem Fall steckte. Wie immer, wenn er nach einem solchen langen Abend wieder wach wurde, fragte er sich, wie er hieß.

„Martin Lüpke, in Ordnung“, sagte er sich. „Scheint noch alles beisammen zu sein.“
Er sah sich in seinem Schlafzimmer um und schaute auf den Wecker, 10 Uhr. Irgendetwas hatte er am Samstag noch erledigen wollen, aber was, wollte ihm nicht einfallen. Langsam schob er seine Beine aus dem Doppelbett und richtete sich auf. Sein Geschmack im Mund war fies. Nachdem er sich hingestellt hatte, schlurfte er ins Bad. Der Blick in den Spiegel verhieß nichts Gutes.

„Etwas zerknittert siehst du aus“, sagte er dem Spiegelbild.
Dieser Typ dort nickte zurück. Naja, zumindest stellte er eine Einsicht bei dem Kollegen fest, den er immer morgens im Bad sah. Ihm fiel der Spruch seiner Mutter ein, ‚mit Mineralwasser wäre das nicht passiert‘. Stimmte, schmeckte aber nicht so gut. Nach dem Zähneputzen war der Geschmack im Mund schon besser.

„Soll ich mal ein Bad nehmen?“, fragte er das Spiegelbild. „Ja, mach das Lüppi“, kam die Antwort.
Lüppi war sein Spitzname. Von wem er den bekommen hatte, wusste er nicht mehr, war zu lange her. Zu seiner Schulzeit hatte er den Namen Maddin bekommen. Den benutzten aber nur noch sehr wenige. Mit dem Namen Lüppi wurde er nicht nur in seinem Wohnviertel angesprochen, sondern auch im Präsidium. Selbst sein Chef, der Leiter der Kriminalinspektion 1, sprach ihn so an.
Nachdem er Wasser in die Badewanne einließ, schlurfte Lüppi zurück ins Schlafzimmer, zog sein Schlaf T-Shirt aus und warf es auf das Bett. Er hob das Polohemd vom Vortag vom Boden auf und schlurfte langsam wieder ins Bad. Seine Unterhose und das Polohemd warf er auf den Wäschehaufen, der sich auf der Waschmaschine befand. Beide Teile blieben oben liegen, erstmal. Kaum saß er in der Wanne fing sein Wäschehaufen an sich selbstständig machen zu wollen.

„Ah, nee, das muss doch jetzt nicht sein. Bleibt da oben liegen“, sagte er zu seiner Wäsche.
Machten aber zwei Teile nicht, sie fielen auf den Boden. Kurze Zeit später folgten die nächsten drei.

„Na klasse! Jetzt muss ich waschen.“
Er stellte seine Waschmaschine immer an, wenn die Wäsche von alleine von der Maschine fiel. Das war nun wieder einmal der Fall.

„Heute ist Ostern, was mache ich denn heute? Uschi ist bei ihrer Mutter in Borbeck“, sagte er zu sich.
Uschi war die Wirtsfrau von ‚Uschis Eck‘ und hieß Ursula Kutysch. Bei ihr war er öfters abends und auch ab und zu über Nacht, wenn er nicht in einem Fall steckte.

„Ich könnte auch nach nebenan zu Torti. Ach nee, da kommt heute bestimmt der Sohnemann mit Verlobter. Geht also auch nicht“, sagt er.
Torti war der Spitzname für seine Nachbarin. Eigentlich war ihr Name Marianne Beise oder kurz Marie. Den Spitznamen Torti hatte sie vor langer Zeit von ihm bekommen, was nicht zuletzt an dem Kuchen lag, den sie immer mit viel Liebe backte. Er selbst wohnte erst ein halbes Jahr in seiner Wohnung, da zogen Marie mit Mann und ihrem zweijährigen Jungen nebenan ein. Sie beide wohnten nun schon über siebenundzwanzig Jahren nebeneinander. Sie war damals sehr schlank, blond und sah sehr gut aus. Die Liebe zu Kuchen hatte das mit der Zeit geändert und ihre Figur war in alle Richtungen gewachsen. Nun war sie recht propper. Der Sohn war vor neun Jahren ausgezogen, nur zwei Jahre später hatte ihr Mann eine jüngere schlankere Frau gefunden. Torti war nun sieben Jahre alleine. Naja, nicht ganz, er, Lüppi war ja da. Aber nicht regelmäßig, was auch an seinem Beruf lag. Beide unternahmen immer etwas zusammen, das war zumeist an Sonntagen. Da Torti kein Auto besaß, freute sie sich immer, wenn er mit ihr einen Ausflug machte. Dann fuhren beide mit seinem dreizehn Jahre alten Mercedes 230E, des Typs W123, irgendwohin. Machten gemeinsame Spaziergänge und gingen anschließend Mittagessen oder Kaffeetrinken. Torti schien immer sehr glücklich zu sein, wenn sie neben Lüppi auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Der Mercedes war in dunkelblau lackiert, hatte aber nur eine Mager-Ausstattung, auch Buchalter-Ausstattung genannt. Kurz um, außer einem Kassettenradio von Blaupunkt hatte der Wagen in Stuttgart keine Extras erhalten. Torti fühlte sich jedes Mal wie eine Königin, wenn sie mitfuhr. Fast immer verbrachten beide anschließend den Abend zusammen und auch oft die Nacht. Torti und Uschi wussten das Lüppi etwas mit der andren hatte. Uschi störte das gar nicht. Sie hatte keine Probleme damit, denn schließlich waren sie kein Paar. Bei Torti sah das schon anders aus. Sie wünschte sich schon lange, dass er sich für sie entscheiden würde. Lüppi hingegen machte keine Anstalten etwas an dieser Dreiecksbeziehung ändern zu wollen. Da ihr das klar war und sie ihn nicht unter Druck setzen wollte hatte sie sich schon länger damit abgefunden, redete sie sich ein. Es war eine Stunde vergangen als er aus der Wanne stieg. Nach dem abtrocknen seines Körpers stopfte er den ganzen Wäschehaufen in die Maschine. Mit Nachdruck ging auch alles hinein. Das Waschpulver wurde in die entsprechende Schublade gefüllt, die Maschine auf 30° eingestellt und der Startknopf gedrückt. Die Waschmaschine fing mit leichtem Rasseln und Sprüngen an zu arbeiten. Das das Springen der Maschine an der dichten Befüllung lag, war ihm klar. Er sagte sich aber, dass es effizient wäre. In seinem Kleiderschrank fand er noch drei frische Polohemden, einige T-Shirts und Pullis. Nach einem Blick nach draußen entschied er sich für ein T-Shirt, da er die Polohemden noch für die kommende Woche zum Dienst benötigen würde. Der nächste Gang war in die Küche. Nach einem Blick in den Kühlschrank wusste er was es gewesen war, was er vergessen hatte.

„Tja, das sieht aber jetzt scheiße aus. Na, das wird wohl nichts mit einem tollen Frühstück heute“, sagte er zu sich.
Im Kühlschrank lagen zwei Scheiben junger Gouda Käse, nur das diese beiden nicht mehr jung waren. Die Scheiben waren inzwischen ziemlich hart geworden und bogen sich nach oben. Im Margarinetopf fand er noch einen Rest. Ein Jogurt stand noch vom letzten Wochenende drin. Außer Ketchup und Mayonnaise war sonst nichts mehr zu sehen. In seinem Vorratsschrank befanden sich Nudeln und drei Zwieback.

„Na ja, ist ja schon ein Anfang.“
Er schaltete seine Kaffeemaschine ein, schüttete Wasser für zwei Tassen hinein und machte die Kaffeedose von seiner Oma auf, die war ein ‚Erbstück‘. Gott sei Dank hatte er noch einen Rest Kaffeepulver vom letzten Wochenende drin, was er sich übrigens mal wieder bei Torti geschnorrt hatte. Mit zweieinhalb Lot wurde der Kaffee nicht sehr stark.
 

„Da brauche ich keine Dosenmilch und keinen Zucker, die ich sowieso nicht habe“, sagte er zu sich selbst.
Die dauernden Selbstgespräche nahmen nie ab, sie wurden nur im Beisein anderer weniger. Er saß an seinem Esstisch in der Küche, der für zwei Personen war und aß seinen Zwieback mit hartem Gauda. Es klopfte an der Wohnungstür.

„Das kann doch nur Torti sein“, sagte er laut und machte die Tür auf.
Und wie von ihm vermutet stand dort seine Nachbarin und Freundin.

„Frohe Ostern, Lüppi. Geht es dir gut?“, fragte Torti.

„Auch frohe Ostern, Torti. Ja, mir geht es gut“, antwortete er.
Er drehte sich um und ging ein paar Schritte zurück in die Diele, sie folgte ihm. Sie blieb auf der Höhe der Küchentür stehen und sagte zu ihm: „Der Jung und die Kerstin kommen heute nicht zu mir, die sind heute bei ihren Eltern.“

„Dann kommen die morgen zu dir?“

„Ja, genau“, antwortete sie und machte einen Dackelblick.

„Okay, ich sehe schon, wir machen heute einen normalen Sonntag?“, erkundigte er sich.

„Ach, du bist der Beste. Ich wusste doch, du bist für mich da.“

„Na, klar, Torti“, sagte er und nahm sie in den Arm.
Beide drückten sich, dabei sah sie in die Küche.

„Was ist das denn da?“

„Mein Frühstück.“

„Was soll das sein? Das ist doch nicht dein Ernst?“

„Ich hatte nichts anderes.“

„Warum kommst du nicht zu mir?“

„Ich wollte nicht stören, weil...“, weiter sprach er nicht.
Er sah ihre Blicke. Sie sah ihn an, ging in die Küche, nahm sein Frühstück und schmiss es in den Mülleimer. Als nächstes sah sie sich den Kaffee an, schüttelte ihren Kopf und goss diesen in den Ausguss.

„Mitkommen“, befahl sie.
Er folgte ihr. Da es Zeit für ein zweites Frühstück war, aß sie noch einmal eine Kleinigkeit mit ihm zusammen.

 

Ostersonntag, 14.00 Uhr
Essen
Grugapark

Der Grugapark liegt zwischen der Innenstadt und den Stadtteilen Rüttenscheid und Margarethenhöhe. Beide gingen meist die gleichen Wege in der gleichen Reihenfolge. So auch an diesem Tag. Da sie in unregelmäßigen Abständen dort waren, bemerkten sie, wie sich die Pflanzen veränderten und größer wurden. Sie gingen immer auf den gleichen Seiten. Lüppi links und Torti rechts. Wer es nicht wusste, hätte die beiden für ein Paar halten können. Was sie auf eine Art auch waren, für einen Zeitraum. Zur Mitte des Rundgangs nahm sie Lüppi´s rechte Hand. Er lächelte sie an und beide gingen Händchenhaltend ihren gewohnten Rundgang zu Ende. Zuhause wieder angekommen aßen beide den selbstgebackenen Kuchen bei ihr. Nach dem Kaffeetrinken erzählte sie ihm von der Betriebsfeier am Freitag der übernächsten Woche in der Firma, in der sie arbeitete. Sie bat ihn, sich eine Auswahl von Kleidern anzusehen und ihr zu sagen was sie anziehen sollte. Dazu zog sie sich im Schlafzimmer um. Bevor sie wieder heraus kam, rief sie ihm zu, er solle die Augen zu machen. Was er tat.

„Du kannst die Augen aufmachen“, sagte sie.
Vor ihm stand Torti in einem blassen roten Kleid mit weißen Puffärmelchen.

„Und, was sagst du?“

„Zieh mal das nächste an“, antwortete er.

„Gefällt es dir nicht?“

„Doch, nett.“

„Nur nett? Sehe ich darin zu fett aus?“

„Nein, das Kleid passt dir, es steht dir aber nicht.“
Torti drehte sich um und ging ins Schlafszimmer zurück. Als sie wieder heraus kam sollte er seine Augen wieder schließen. Dann wieder öffnen. Nun stand sie in einem blauen, etwas taillierten, Kleid vor ihm.

„Schon besser als das rote.“
Sie ging wieder ins Schlafzimmer. Noch weitere vier Mal kam sie mit einem anderen Kleid zu ihm. Beim letzten Mal sagte sie: „Bevor du die Augen aufmachst, welches Kleid war bis jetzt das schönste?“

„Das Blaue, was du als Zweites anhattest.“

„In Ordnung. Was sagst du dazu?“, fragte sie.

„Kann ich nicht sagen, ich soll ja die Augen noch zulassen“, kam die Antwort.

„Dann mache sie bitte auf.“
Was er tat. Sie stand in Unterwäsche vor ihm, sah ihn an und machte einen Kussmund. Er stand auf, küsste sie und beide gingen in ihr Schlafzimmer.

 

17. April 1995, Ostermontag, 16.00 Uhr
Essen Frohnhausen

Lüppi war seit zwei Stunden wieder in seiner Wohnung. Nach Zeitung lesen und Fernsehen gucken, fragte er sich: „Na, prima und nun? Was ist mit Manni? Mmh... der ist bestimmt drüben bei Uschi.“
Manni war sein Nachbar, der unter ihm wohnte. Eigentlich hieß er Manfred Dittmar. Er stellte sich allen aber immer nur als Manni vor. Lüppi entschloss sich zu Uschi zu gehen. Unten vor der Haustür schaute er die Straße auf und ab, in der er wohnte. Die Kölner Straße war an diesem Montag sehr ruhig. An Feiertagen konnte man nur die nahe gelegene Hauptstraße hören. Er überquerte die Straße und ging fünfzig Meter bis zu ‚Uschis Eck‘. Wie erwartet sah er Manni am Tresen sitzen. Es waren acht Männer dort, alle drehten sich um als er hereinkam.

„Mensch Lüppi, da bisste jo wieda“, sagte ein älterer Mann, dessen Namen er immer wieder vergaß. Er ging um den Tresen herum, um Uschi in den Arm zu nehmen. Sie kam auf ihn zu.

„Schön, dass du kommst, die Vögel hier gehen mir wieder auf den Zeiger“, sagte sie zu ihm und beide nahmen sich in den Arm. Nach einem langen Kuss fragte Uschi: „Möchtest du einen Kaffee?“

„Das fragst du uns nie“, sagte einer der anderen Gäste.

„Klappe da drüben, sonst bekommst du nur noch Kraneberger.“
Solche Drohungen hatten bei den Männern am Tresen immer die gewünschte Wirkung, da alle wussten, sie würde es wahr machen. Überhaupt war Uschi eine ganz andere Frau als Torti. Genau das Gegenteil. Sehr schlank, im Gesicht fast hager und kurze blonde Haare. Lüppi war der einzige, dem sie es nicht übelnahm, wenn er „Schneewittchen“ zu ihr sagte. Wie das gemeint war wussten alle Besucher der Kneipe. Frei nach dem Motto „schön wie Schneewittchen, aber kein Arsch und kein Tittchen“.

„Ich nehme eine Cola“, antwortete er ihr auf die Frage nach dem Kaffee.
Während Lüppi auf dem Weg nach vorne an den Tresen war, nahm Uschi das Bierglas von einem Gast weg, der nicht so häufig da war. Dieser schaute erstaunt als sein Bierglas von ihr am Ende des Tresens abgestellt wurde.

„Du sitzt aufm Platz vonem Lüppi“, erfuhr der Betreffende von seinem Nachbarn zur linken.

„Ich hab dir doch gesacht, dat ist nicht jut date dich da hinsetzten tust“, sagte der andere Nachbar zur rechten.
Der Betreffende stand auf und wechselte den Platz, nachdem Uschi mit dem Finger auf die Theke geklopfte hatte und zwei andere Männer meinten: „Geh doch lieber darüber, Helmut.“ Was Helmut nicht wusste sah er als er aufgestanden war. Auf dem Hocker war der Name Lüppi im Holz eingefräst. Dieser stand in der Mitte des Tresens. Lüppi setzte sich auf seinen Stammplatz und trank seine Cola. Die Stunden mit den anderen Männern vergingen wie im Flug. Am Abend sagte er zu Uschi: „Uschi, ich hätte Hunger.“

„Was möchtest du denn?“, fragte sie ihn.

„Was steht denn heute auf der Speisekarte“, fragte er zurück als wenn er es nicht wusste.

Sie lächelte ihn an und fragte in den Raum: „Tja, was habe ich denn heute alles?“
Machte eine Pause, nahm einen DIN A5 Zettel und schaute drauf.

„Da wäre als erstes, Bockwurst mit Kartoffelsalat. Das zweite ist Gulaschsuppe. An dritter Stelle steht Serbische Bohnensuppe und als letztes lese ich Erbsensuppe.“

„Das klingt ja richtig toll. Was hast du denn davon selbstgemacht, liebe Uschi?“, fragte Lüppi.

„Ja, natürlich nichts“, gab sie zur Antwort, mit dem Wissen, dass alle Männer das wussten.

„Nach gründlicher Überlegung entscheide ich mich für die leckere Erbsensuppe“, sagte er zu ihr.

„Schläfst du heute Nacht bei mir?“, fragte sie.

„Wenn du möchtest.“

„Dann such dir was anderes aus.“

„Mmh, Serbische Bohnensuppe brauche ich dann wohl auch nicht sagen?“, fragte er in ihre Richtung.
Sie schüttelte ihren Kopf.

„Ja, Mensch, dann nehme ich doch die Gulaschsuppe.“

„Die letzte hat der Michi bekommen.“
Lüppi sah zu Michael hinüber. Der hingegen meinte, er könne nichts dafür.

„Okay, dann bleibt ja nur noch Bockwurst mit Kartoffelsalat“, sagte er.

„Bockwurst ist aus. Den Kartoffelsalat bekommst du“, sagte sie und warf ihm einen Luftkuss über die Theke zu. Gegen 21 Uhr bat Uschi die Männer zu gehen. Sie sagte, sie sei müde. Alle wussten, dass es immer so war, wenn Lüppi bei ihr über Nacht blieb.

 

18. April 1995, Dienstag, 7.30 Uhr
Essen Frohnhausen

Lüppi saß mit Uschi an ihrem Küchentisch. Beide tranken Kaffee, für frühstücken war es beiden noch zu früh. Während er die gleiche Kleidung wie am Vortag trug, hatte sie ein Kleid im Leoparden Look an. Dazu hatte sie rote flache Schuhe angezogen.

„Kannst du mich gleich zur Werkstatt fahren. Ich wollte meinen Wagen zur Jahresinspektion bringen?“, fragte sie ihn.

„Ja, klar doch. Wohin bringst du ihn denn?“

„Na, wie immer zum Majewski.“

„War ich da schon mal?“, fragte er sie.

„Nö, du hast ja nie Zeit, wenn ich dich mal brauche. Ich muss dann immer Manni fragen.“

„Heute habe ich Zeit.“

„Schön, dann trink deinen Kaffee aus und wir hauen ab“, sagte sie zu ihm und stand schon mal auf.

„Okay“, sagte er mehr zu sich. „Da hat es wohl jemand eilig.“
Zehn Minuten später saßen beide in ihren Autos und Lüppi fuhr hinter dem Renault 5 von Uschi her. Nach zwanzig Minuten bog sie in die Straße ‚Neue Industriestraße‘ ein und hielt auf dem Gelände der Hausnummer 25.

„Ja, Mensch, hier war ich doch schon Mal“, sagte er zu sich.
Er schaute sich um, sah auf das Schild am Gebäude und stieg aus. Während er am Auto stand fragte Uschi ihn: „Was ist, was schaust du so?“

„Hier war ich letztes Jahr“, antwortete er ihr.

„Bringst du auch deinen Wagen hier hin?“

„Nee, das war ein Fall“, sagte er ziemlich nachdenklich.

„Und?“, fragte sie.

„Das war eine junge Frau, die hier erschlagen wurde.“
Dann sah er zur ihr herüber.

„Jetzt habe ich es. Die hieß Moni Rogel und gehörte zu dem Rennteam hier. Steht auch da oben dran“, sagte er und zeigte auf das Schild ‚Motorsport Team Kirchheim und Werkstatt‘. „Das ist übrigens nicht Majewski“, sagte er.

„Ja, weiß ich, das war der Vorbesitzer. Die Mechaniker und der Meister sind aber die gleichen“, antwortete sie ihm und betrat den Betrieb. Er folgte ihr. Dort erfuhr sie, dass der Meister Achim Voigt nicht mehr da war, dafür aber ein sehr kompetenter Neuer, namens Werner Rotmann. Nachdem sie ihren R5, Baujahr 1978, abgegeben hatte fuhr Lüppi sie nach Hause zurück. Nachmittags könnte sie ihren Wagen abholen. Lüppi sagte zu, er würde sie wieder hinfahren. Unterwegs erzählte er ihr von dem Fall Moni Rogel.

 

Dienstag, 9.15 Uhr
Polizeipräsidium Essen

Lüppi war gerade in seinem Büro angekommen, welches er sich mit seinem Kollegen Gerhard Schwarz, auch Gördi genannt, teilte. Gördi arbeitete nun mehr als fünf Jahre mit ihm zusammen und war somit der Kollege, der es am längsten mit ihm ausgehalten hatte. Beide verstanden sich sehr gut, sagte Lüppi immer, wenn er gefragt wurde. Anders die Aussage von Gördi, der immer sagte, ‚Es geht‘ oder ‚Ist okay‘. Am allerliebsten hatte Lüppi mit seiner früheren Kollegin Heike Buhrmann zusammen gearbeitet. Diese war allerdings vor sieben Jahren nach Frankfurt am Main umgezogen, wegen eines Mannes. Die Schreibtische der beiden standen jeweils mit dem Rücken zur Wand, so dass sie sich sehen konnten. Zwischen den Schreibtischen waren vier Meter frei, dort wollten beide eigentlich immer einen Tisch mit vier Stühlen haben. Den hatten sie aber nie bekommen. Gördi saß bereits an seinem Schreibtisch, was nicht anders zu erwarten gewesen war. Er nahm alles sehr genau, was ihm bei den anderen Kollegen auch die Namen ‚Erbsenzähler‘ und ‚Korinthenkacker‘ eingebracht hatte. Diese Arbeitseinstellung hatte Vorteile, die Lüppi zu nutzen wusste. Allerdings auch einige Nachteile, was die Ermittlungen nach Feierabend betraf. Gerhard hatte eine junge Frau und eine Tochter, ein Reihenhaus mit Garten und spielte Fußball in einem fünftklassigen Club. Lüppi interessierte sich auch für Fußball, insbesondere für den Essener Verein Rot-Weiß-Essen. Nicht das er dort regelmäßig hinging, es genügte ihm, wenn er erfuhr, wie die Mannschaft gespielt hatte. Es war immer gut, wenn man sagen konnte, dass man sich dafür interessierte, so seine Erfahrung. Es gab auch einen Altersunterschied bei den beiden. Gördi war 36 Jahre und Lüppi 53 Jahre alt. Lüppi nahm vieles nicht so genau und auch nicht so ernst. Seine Standardantwort war „In Ordnung“ oder ab und zu „Geht schon.“ So verwunderte es nicht, dass er nicht sofort zum Chef ging, der ihn sofort sehen wollte, wenn Lüppi ins Büro käme. Stattdessen setzte er sich an seinen Schreibtisch und trank erst einmal eine zweite Tasse Kaffee, die Gördi für beide gekocht hatte. Es waren fünf Minuten vergangen als der Chef von beiden, Kriminalrat und Leiter der Kriminalinspektion 1, ins Büro gestürmt kam und entrüstet feststellte, dass Kommissar Lüppi am Schreibtisch saß.

„Lüppi, ich wollte dich sehen“, rief Eckerhard Schuster.

„Ja, das kannste ja jetzt“, antwortete Lüppi.

„Du solltest zu mir kommen.“

„Ja, wäre ich ja auch gleich“, war die Antwort.

„Komm bitte mit in mein Büro“, sagte Eckerhard Schuster.
Lüppi stand auf und folgte seinem Chef. Dort angekommen, wollte dieser wissen.

„Erzähl mir mal, was du letzten Donnerstagabend zu dem Abgeordneten des Landtages gesagt hast.“

„Tja, was war das denn?“, stellte er sich laut die Frage selbst. „Warte mal, es fällt mir gleich wieder ein.“

„Hast du zu ihm ‚Sie blödes Arschloch‘ gesagt und hast ihn einfach dumm stehenlassen?“, wollte Eckerhard Schuster wissen.

„Stimmt, jetzt wo du es sagst, fällt es mir wieder ein.“

„Ja, spinnst du denn? Der Polizeipräsident hat mich Ostersonntag angerufen.“

„Och, hat der etwa deine Nummer?“

„Ja, hat er.“

„Die hätte ich dem nicht gegeben. Das war nicht gut von dir“, sagte Lüppi.

„Lüppi, willst du mich verscheißern?“

„Nö, habe ich nicht vor. Aber jetzt mal im Ernst. Dieses Arschloch von Abgeordneten hat sich in die Ermittlungen eingemischt, sie behindert und alles getan, um seinen Bruder gut aussehen zu lassen.“

„Das hätten viele andere auch getan.“

„Gehört sich aber nicht und als Abgeordneter des Landtages schon gar nicht. Zudem hat er mir gedroht, ich solle endlich seinen Bruder in Frieden lassen sonst würde ich bald Streife fahren.“

„Der Bruder ist aber überführt und hat gestanden?“

„Ja, hat er.“

„Freiwillig oder hast du etwa…?“, fragte Eckerhard Schuster.
Lüppi antwortete nicht, dafür kam sein Kollege Gerhard Schwarz ins Büro.

„Entschuldigung, Herr Kriminalrat. Lüppi, wir müssen los. Oben im Schellenberger Wald ist ein Toter gefunden worden.“

„Jo, ich komme Gördi“, sagte Lüppi und verließ schnurstracks das Büro seines Chefs. Der rief noch hinter ihm her: „Lüppi, wir sind noch nicht fertig.“

– Doch, sind wir. – dachte Lüppi.

 

Dienstag, 10.35 Uhr
Essen
Schellenberger Wald

Lüppi war mit dem Mercedes die Heisinger Straße hochgefahren. Gegenüber der Uhlenstraße war er auf einen unbefestigten Weg nach links abgebogen. Nach einigen hundert Metern kamen die beiden mit dem Auto nicht mehr weiter. Nach Anweisung eines Streifenkollegen gingen Gördi und Lüppi die letzten Meter zu Fuß. Der Tote lag im Dickicht und war am Morgen von einem älteren Herrn gefunden worden oder besser gesagt, von dessen Hund. Der Tote hatte eine zerrissen Hose, da die Promenadenmischung versucht hatte ihren Fund aus dem Dickicht zu ziehen.

„Guten Morgen, Kollegen.“ sagte Gördi.
Lüppi sagte nichts. Ein Streifenpolizist erzählte den beiden was sie bis zu diesem Zeitpunkt wussten, also nur wie der Tote gefunden worden war.

„Wer ist das?“, fragte Lüppi.

„Keine Ahnung. Hat keine Papiere bei sich“, kam die Antwort.

„Sehe ich das richtig, der hat Arbeitskleidung an?“, fragte Gördi.

„Jo, siehste richtig. Hat er“, sagte Lüppi.

„Schon wieder ein Handwerker weniger“, meinte der Steifenpolizist.

„Wieso schon wieder?“, fragte Lüppi nach.

„Vor drei Monaten war doch schon mal einer in der Innenstadt.“

„Wann kommt die Rechtsmedizin?“, fragte Gördi.

„Müsste gleich da sein.“
Nur wenige Minuten später kam die Rechtsmedizinerin Dr. med. Stefanie Schneider am Tatort an. Sie fing sogleich an den Toten grob zu untersuchen. Nach wenigen Minuten stellte sie fest: „Der Tote muss zu uns in die Uniklinik. Er ist viel zu stark verschmutzt, um hier schon etwas sagen zu können.“
Das Institut für Rechtsmedizin befand sich auf dem Gelände des Universitätsklinikum Essen und war auch für die Stadt Bochum zuständig.

„Stefanie, kannst du ungefähr sagen, woran er gestorben sein könnte?“, fragte Lüppi.

„Die einzige Verletzung, die ich hier sehen kann, ist auf seinem Kopf. Das sieht sehr schlimm aus.“

„Okay, er hat also etwas auf den Kopf bekommen. Mmh, vielleicht ist er erschlagen worden oder es ist ihm irgendetwas auf den Kopf gefallen“, sagte Lüppi mehr zu sich selbst als zu den anderen Anwesenden. Er schaute auf den Toten.

„Was machst du hier? Warum an diesem Ort? Warum liegst du nicht irgendwo anders?“, fragte Lüppi den Verstorbenen. Um drei Augenblicke später zu sagen: „Okay, du antwortest nicht. Auf den Kopf gefallen ist dir auf jeden Fall nix.“

„Warum nicht?“, fragte Gördi.

„Warum ist er dann hier im Wald? Wäre ihm etwas auf den Kopf gefallen, wäre er im Krankenhaus gelandet und nicht hier. Das ist es also nicht. Dieser Handwerker ist entsorgt worden“, sagte Lüppi.

„Vielleicht war die Rechnung zu hoch, die er ausgestellt hat oder er hat schlecht gearbeitet“, meinte der Streifenpolizist.
Lüppi sah den Kollegen an, schüttelte den Kopf und überlegte weiter.

„Ist der Beruf der Hintergrund?“ fragte er sich. „Ob dein Beruf der Grund für deinen Tod ist, müssen wir erst noch herausfinden. Was hast du denn so in deiner Freizeit gemacht?“, fragte Lüppi den Verstorbenen.
Wenig später gingen Gördi und Lüppi zum Auto zurück.

„Wie ist der eigentlich hierhin gekommen?“
Kollege Gördi wusste es auch nicht, daher antwortete er auch nicht darauf. Im Auto angekommen nahm er seinen karierten Block und einen Bleistift. Da Lüppi nicht wusste, wann er das nächste Mal etwas vergessen würde, schrieb er alle seine Fragen nacheinander auf. Das tat er immer so. Gerade war er damit fertig, da kamen aus derselben Richtung, wo er hergefahren war, zwei Reporter des Weges gelaufen. Gördi und Lüppi kannten die beiden. Um keine Fragen gestellt zu bekommen, fuhr Lüppi los, an den beiden vorbei.

 

 
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